Jom Kippur (hebräisch יוֹם כִּפּוּר, wörtlig übersetzt „Daag vom Loos“, au Jom ha-Kippurim יוֹם הכִּפּוּרִים, wörtlig übersetzt „Daag vo de Loos“) uf Dütsch mäistens Versöönigsdaag isch dr höggst jüüdischi Fiirdig. Er wird im Herbst im Septämber oder Oktober am 10. Tischri, em sibte Monet vom jüüdische Kaländer, as Fastdaag begange. Zämme mit em zwäidäägige Nöijoorsfest Rosch Haschana, wo zää Dääg vorhär stattfindet, bildet er die Hooche Fiirdääg vom Juudedum und dr Höhepunkt und Abschluss vo dr Periode vo dr Röi und Buess.

Juude, wo am Jom Kippur in dr Sünagooge bäte, Gmäld vom Maurycy Gottlieb, 1878

Gschicht ändere

Noch dr modärne Bibelkritik goot dr Versöönigsdaag, wo in dr Bible Jom ha-Kippurim und Schabbat Schabbaton häisst, uf d Zit noch em Babylonische Exil zrugg,[1] au wenn s Paralleele zu hethitische Rituaal git, wo uf e hööchers Alter aanezäige. Scho in dr früenere Zit vom zwäite Dämpel isch er dr bedütendsti Fiirdig vo de Israelite gsi.[2] Die umfangriichsti Daarstellig vom Fiirdig cha mä im 3. Buech Mose finde: „Am zehnten Tage des siebenten Monats sollt ihr fasten und keine Arbeit tun, weder ein Einheimischer noch ein Fremdling unter euch. Denn an diesem Tage geschieht eure Entsühnung, dass ihr gereinigt werdet; von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn.“[3]

D Zit vom Zwäite Tämpel ändere

Es isch mööglig, ass sich d Tämpelzeremonie, wo zur Zit vom Zwäite Tämpel am Versöönigsdaag braktiziert worde si, us früenere Zeremonie zur Räinigung vom Tämpel entwigglet häi, wo denn noch em Babylonische Exil d Form überchoo häi, wie si in dr Bible beschriibe si und sich zum Versöönigsdaag entwigglet häi, wo jedes Joor am zäänte Daag vom sibte Monet gfiirt wird. Es git Indizie drfür, ass dr Fiirdig erst in dr Zit noch em Exil entstanden isch: do feelt in dr Liste vo de Fiirdig im 2. und 5. Buech Moses und bi de Brofete Ezra und Nehemia,[4] d Bezäichnig vom Aaron as Hoochibriester, wo erst noch em Exil ufchoo isch, und d Vorschrift für e Hoochibriester, ass er müess „Bäichläider us Liine“ aahaa.[5] D Hoose si e Persischi Erfindig gsi, wo d Israelite vor em 6. Joorhundert vor dr Zitwändi kuum döffte kennt haa.[2]

Im Tämpel z Jerusalem het mä an däm Daag bsundrigi Opfer gopferet, es isch dr äinzigi Daag gsi im Joor, wo dr Hoochibriester in s Allerhäiligste im Tämpel het döfe iinegoo und zwar numen eläi und eso, ass niemer het öbbis chönne gsee. Iim si dört as Stellverdräter vom Volk d Sünde vergee worde. Er het Bluet vo zwäi Opferdier uf d Bundeslade gsprützt. Mä het für zwäi Böck Loos zooge. Dr äinti isch gopferet worde zum dr Tämpel z räinige, em andere het dr Hoochibriester d Sünde vom Volk uferläit und denn het män en lääbig as Sündebock zu Asasel in d Wüesti gjagt.[6]

Dr Sündebock ändere

 
Dr Sündebock,
Gmäld vom William Holman Hunt, 1854

Noch em Gesenius, Hoffmann und Oxford Hebrew Dictionary isch Asasel e sältes hebräischs Nääbewort, wo „Entlassig“ oder „vollständigi Entfäärnig“ bedütet. Es isch en alte Usdruck drfür, ass alli Sünde und Schulde vo dr Gmäinschaft entfäärnt wärde, und isch sümbolisiert worde drmit, ass mä e Bock in d Wildnis verjagt het. Zum d Bedütig vo däm Wort zerklääre, si verschidnigi Theorie ufgstellt worde. Im Talmud wird Asasel mit „stotzigs Gebirg“ übersetzt und uf en Felse in dr Wüesti bezooge, vo wo in dr spöötere Zit s Dier aabgestürzt worden isch. Scho früe isch aber s Wort Asasel personifiziert worde, wie au die hebräische Wörter für Underwält (Scheol) und Zerstöörig (Abbadon). Noch em apokrüfe Buech Henoch isch Asasel oder Asalsel dr vornäämsti under de gfallene Ängel, wo de Menschechinder d Sünd biibrocht häi. Noch deere Interpretazioon gseet us, wie wenn d Idee vo dr Zeremonii doodin wurd si, ass mä d Sünde an dr böösi Gäist wurd zruggschigge, wo si wäge sim Iifluss entstande si. Äänligi Süünerite git s au bi andere Völker. Modärni Biblekritiker dängge, ass die Passaasche oobe nooche zum Briesterkodex wurde ghööre und datiere si uf e Zit noch em Exil; mit em Schicke vom Sündebock zu Asasel wurdi en elteri Zeremonii iibezooge.

E baar konservativi Bibelexegete dängge, ass dr Blatz, wo dr Bock aane gschiggt wird, d „Wildnis“ usserhalb vom bewoonte Gebiet isch (und nit e lääbensfindligi Wüesti), und dass Asasel weder en Orts- non e Persoonenaame isch. Noch iirer Mäinig het mä dr Bock äifach freiglioo.

Halacha ändere

Au noch dr Zerstöörig vom zwäite Tämpel im Joor 70 het mä dr Versöönigsdaag bhalte. „Au ooni ass mä Opfer bringt, git s e Versöönig wägen em Daag an sich“ (Midrasch Sifra, Emor, XIV). Noch dr jüüdische Leer hilft dr Daag aber nüt, wemm mä nid beröit. E Bedingig für d Süüne isch, ass mä d Schuld zuegit und beröit. „Dr Versöönigsdaag befreit vo de Sünde gege Gott, aber vo de Sünde gegen e Neggst erst, wemm mä d Persoon, wo mä gschäädigt het, um Verzeijig bittet“ (Talmud Joma VIII, 9). Vo do chunnt dr Bruuch, ass mä am Oobe vor em Fastdaag alli Händel duet schlichte. Am Versöönigsdaag überchömme au d Seele vo de Doote Vergääbig. Im Gebät Jiskor erinneret mä sich in dr Sünagooge an die Doote.

 
Versöönigsdaag,
Gmäld vom Isidor Kaufmann, öbbe 1900

Noch dr talmudische Überliiferig macht Gott am erste Daag vom Joor drei Büecher uf: äins für die ganz Schlächte, e zwäits für die ganz Fromme, und s dritte für alli andere. S Schicksal vo de ganz Schlächte und vo de ganz Fromme wird sofort entschiide; mit dr Entscheidig über d Durchschnittsmensche wird bis zum Jom Kippur gwartet und denn wird s Urdäil für alli gfellt. Im Gebät Unetaneh tokef, wo sich dr Leonard Cohen von em für si Lied Who by Fire het lo inspiriere,[7] häisst s:

„Am Neujahrstag werden sie eingeschrieben und am Versöhnungstag besiegelt, wie viele dahinscheiden sollen und wie viele geboren werden, wer leben und wer sterben soll, wer zu seiner Zeit und wer vor seiner Zeit, wer durch Feuer und wer durch Wasser, wer durch Schwert und wer durch Hunger, wer durch Sturm und wer durch Seuche, wer Ruhe haben wird und wer Unruhe, wer Rast findet und wer umherirrt, wer frei von Sorgen und wer voll Schmerzen, wer hoch und wer niedrig, wer reich und wer arm sein soll. Doch Umkehr, Gebet und Wohltun wenden das böse Verhängnis ab.“[8]

Noch em Maimonides „hängt alles drvo ab, öb d Verdienst vom ene Mensch gröösser si ass d Fääler won er gmacht het“. Dorum isch s e gueti Idee, vor em Urdäil am Versöönigsdaag e Hufe gueti Daate z begoo. Wenn Gott vo öbberem dänggt, ass er wärtvoll sig, chunnt si Naame ins Buech vom Lääbe, und dorum säit mä im Gebät: „Duen is im Buech vom Lääbe iischriibe“. D Lüt begrüesse sich au mit: „dass du (im Buech vom Lääbe) für e glückligs Joor iigschribe wirsch.“

Dr Jom Kippur hüte ändere

Dr Jom Kippur isch dr häiligsti und fiirligsti Daag vom jüüdische Joor. Für Fraue vo 12i aa (im nit-orthodoxe Juudedum vo 13i aa) und Manne vo 13i aa isch er e 25-stündige Fastdaag, wo mä vom Sunneundergang am Oobe vorhär aa weder flüssigi no festi Naarig zue sich nimmt. Dr Jom Kippur isch dr äinzigi Fastdaag, wo au am ene Sabbat begange wird - die andere Fastdääg wärde verschooben, wenn si uf e Sabbat wurde falle. Usser däm, wo mä am Sabbat und alle andere Fiirdig nit daf mache, isch am Jom Kippur au dr Gschlächtsvercheer verbote. Sträng religiöösi Juuden häi am Jom Kippur käini Schue us Lääder aa und iiri Chläider si ganz wiss. Dr Jom Kippur wird au hüte von ere Meerhäit vo de Juude, au vo nit religiööse, in ere meer oder weeniger strikte Form iighalte.

Z Israel ändere

Z Israel si an däm Daag alli Restorant und Kafee usser de arabische zue. S ganze öffentlige Lääbe stoot still. Alli Gränzübergäng (au d Flughääfe) si zue. Es git zwar käi gsetzligs Faarverbot, aber in Gegende, wo vo Juude bewoont si, faare fast käini Auti uf de Stroosse usser Ambulanze, und au uf die gheije religiöösi Fanatiker mänggisch Stäi. Drfür si vor allem in sekuläre Gebiet e Hufe Velofaarer underwäggs. Es git weder Radio- no Färnseebrogramm. Israel isch an däm Daag kwasi gleemt und extreem verwundbar. Sürie und Egüpte häi das im Oktober 1973 usgnützt und dr Jom-Kippur-Chrieg aagfange. Sit denn verchliineret Israel an däm Daag si milidäärischi Beräitschaft nüme, und es git stills Radio und Färnsee, wo dr ganz Daag nüt sände, aber, wenn s nötig wird, sofort Mitdäilige chönne afo verbräite.[9][10]

Gottesdienst ändere

 
Kol Nidre,
Wormser Machsor, 13.J.h.

Im Allgemäine goot dr Gottesdienst in de jüüdische Gmäinde vo alle Richdige fast dr ganz Daag lang. Dr Oobegottesdienst foot mit em Gebät „Kol Nidre“ aa, wo vor Sunneundergang glääse wird. Im Zentrum vo dr Liturgii stoot s Sündebekenntnis, wo in dr jüüdische Dradizioon im Underschiid zur Biicht in christlige Chille immer in dr kollektive Mir-Form abgläit wird und d Bitte um Vergääbig, wo uf Hebräisch Selichot häisse.[11]

Die dradizionelle Melodie und Klaggsäng drucke d Unsicherhäit vom äinzelne Mensch vis a vii eme ungwüsse Schiggsal us, wie au die kollektivi Erinnerig an vergangeni Gröössi. Am Versöönigsdaag beschäfdige sich d Juude nume mit gäistige Sache. In dr Haftara vom Morgegottesdienst wird en Abschnitt us em Buech Jesaja vorglääse, wo dr biblischi Brofet din d Bedütig vom ächte Faste erkläärt.

„Das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke der Unterdrückung zu lösen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen. Wenn du einen Nackten siehst, bekleide ihn, und dem, der deines Fleisches ist, entziehe dich nicht. Dann wird wie die Morgenröte dein Licht anbrechen und deine Heilung rasch aufsprießen, deine Gerechtigkeit wird vor dir hergehen und die Herrlichkeit des Ewigen wird dich aufnehmen.“[12]

En anderi Bsunderhäit vom Versöönigsdaag isch s Gebät Neïlah, wo dr Abschluss vom Daag dins thematisiert wird. Mä git dr ändgültigi Abschluss vom Jom Kippur mit em Schofar bekannt.

Dr Jom Kippur in dr Litratuur ändere

In dr jüüdische Litratuur spiilt dr Jom Kippur e groossi Rolle, so zum Bischbil bim jiddische Autor Shalom Aleichem. Im Franz Kafka si Churzteggst Vor dem Gesetz, won er sälber as Legände bezäichnet het, cha mä as e Variazioon von ere talmudische Parable düte.[13]

Jom Kippur-Termin ändere

Jom Kippur wird an dene Datum gfiirt - dr Fiirdig foot am Oobe vor em Daag aa, wo agee isch:

  • 2012: 26. Septämber
  • 2013: 14. Septämber
  • 2014: 4. Oktober
  • 2015: 23. Septämber
  • 2016: 12. Oktober
  • 2017: 30. Septämber
  • 2018: 19. Septämber
  • 2019: 9. Oktober
  • 2020: 28. Septämber

Litratuur ändere

  • Gebetbuch für die Festtage. = Maḥzôr le-yôm kippûr. Band 7: Wolf Heidenheim (Hrsg.): Gebetbuch für den Versöhnungstag. Übersetzt von Rabbiner Dr. Selig Bamberger. Goldschmidt, Basel 1970.
  • Pentateuch und Haftaroth. Hebräischer Text und deutsche Übersetzung. Kommentar von Joseph Herman Hertz. 5 Bände. Nachdruck der Ausgabe 1937/38. Verlag Morascha, Zürich 1984.
  • Susanne Galley: Das jüdische Jahr. Feste, Gedenk und Feiertage. Beck, München 2003, ISBN 3-406-49442-0 (Beck'sche Reihe 1523).

Weblingg ändere

  Commons: Jom Kippur – Sammlig vo Multimediadateie

Fuessnoote ändere

  1. Corinna Körting: Jom Kippur. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen (Hgg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex). Alttestamentlicher Teil
  2. 2,0 2,1 Moshe Herr, S. Sperling: Day of Atonement. Artikel in: Encyclopaedia Judaica. Hrsg. Michael Berenbaum und Fred Skolnik. Band 5, 2. Uflaag. Detroit: Macmillan Reference USA, 2007, S. 488-493 Online (änglisch)
  3. Lev 16, 29-30, ebenso Lev 23, 26-32 und Num 29, 7-11
  4. Ex 23, 14, Ex 34, 18-23, Dtn 16, 1-17, Neh 8-9
  5. Lev 16, 2-4
  6. Lev 16, 8-10
  7. Leonard Cohen: Who by Fire Archivlink (Memento vom 4. Juli 2009 im Internet Archive)
  8. Gebetbuch für das Neujahrsfest, S.108. Zitiert noch: Klaus Samuel Davidowicz: „Ich bleibe also Jude“ – Gedanken zu den „Hohen Feiertagen“ (Memento vom 5. Dezämber 2011 im Internet Archive). Jüdische Kulturzeitschrift
  9. ORF-Religion
  10. Spiegel am 9. Oktober 2008
  11. „Denn wir sind nicht frechen Angesichtes und hartnäckig, vor dir zu sagen, wir seien Gerechte und hätten nicht gesündigt, in Wahrheit haben wir gesündigt.“
  12. Jesaja 58, 6-8
  13. Carolin Hannah Reese: Vom Baum des Lebens essen - Franz Kafka und sein Judentum. talmud.de